AUFRESIGNATION

by AUFRESIGNATION

AUFREGEN und RESIGNIEREN liegen oft nah beieinander, oder anders gesagt: Auf AUFREGUNG und Rebellion folgt nicht selten RESIGNATION. Diese bipolare Pendelbewegung vom Aufbegehren zum Aufgeben, von der Manie zur Depression, vom Rausch zum Kater hat der Augsburger Gitarrist, Komponist und Produzent Oliver Kolek in Gedichten und Songtexten von Gerald Fiebig aufgespürt und zur Grundlage des Minialbums AUFRESIGNATION gemacht. Es erscheint als gemeinsame Veröffentlichung der Augsburger Labels gebrauchtemusik und attenuation circuit.

Dass Kolek das Album auch unter dem Projektnamen AUFRESIGNATION erscheinen lässt, ist konsequent. Denn die jähe Schwankung zwischen entgegengesetzten Stimmungen oder Haltungen ist nicht nur Thema in den Texten, der er vertont hat. Vielmehr macht er sie auch zum Kompositionsprinzip, das sich durch alle vier Stücke zieht. Der Opener “Pillenknick” schlägt von krassem Electroclash unvermittelt in unheimlich heimelige Swing-Gemütlichkeit um (bis die Melancholie zurückschlägt) und erzählt dabei die Verfallsgeschichte emanzipatorischer Protestbewegungen als schlechten Wortwitz der Weltgeschichte (“Die Geschichte spielt immer zwei Mal, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Kalauer” - so ähnlich hieß das doch bei Marx). “Critical White Noise Studies” sprengt die Grenzen vom Song zum Ambient-Track u.a. durch sein ungewöhnliches Arrangement von Stimmen, die zu düsteren Elektroniksounds Bilder von Sklaverei und (Neo-) Kolonialismus heraufbeschwören. Während sonst alle Instrumente auf dem Album von Oliver Kolek selbst eingespielt wurden, wird er auf diesem Track von Leandra White am Modularsynthesizer unterstützt. Das Stück “Problemzone Lichtmess” verwendet, wie “Critical White Noise Studies”, Textmaterial aus Gerald Fiebigs Gedichtband “motörhead klopstöck” (dessen Titel mit seiner Kollision von “Pop”- und “Hoch”-Kultur schon auf das ungleiche Pärchen aus AUFREGUNG und RESIGNATION vorausdeutet). Bilder von Arbeit und Entfremdung, changierend zwischen sarkastischem Witz und traurigem Zynismus, werden in eine Komposition eingebettet, die von Glitch-Electronica zur atmosphärischen Ballade morpht. Der Abschlusstrack des kompakten Konzeptalbums AUFRESIGNATION verwendet, wie der Opener, einen bislang unveröffentlichten Text, der von Fiebig speziell als Songtext geschrieben wurde. (Der Titel und die erste Strophe sind dabei Zitate des viel zu früh verstorbenen Ostberliner Dichters Matthias BAADER Holst.) Thematisch ist der Übergang von der AUFREGUNG zur RESIGNATION bzw. vom Aktivismus zum Alkoholismus in diesem Popsong nun endgültig abgeschlossen. Doch das letzte Wort hat die Tatsache, dass es das Album überhaupt gibt. Denn zwar könnte man angesichts der Scheußlichkeiten der Welt durchaus den Wunsch haben, sich die (Rettungs-) Decke über den Kopf zu ziehen wie die Figur auf dem Cover. Oliver Kolek dagegen hat eben nicht RESIGNIERT sondern ein AUFREGENDES Album mit schönen Liedern über hässliche Dinge gemacht. Oder, wie es der Protestsänger und Dichter Phil Ochs um 1968 formulierte: “Ah but in such ugly times the true protest is beauty”.

File under: electropop, ambient

ACU 1047

factory-produced CDr in cardboard sleeve

Released in 2023

limited to 100 copies

price: 7.00 EUR (excl. postage)

Komposition / Instrumente / Stimme: Oliver Kolek
soundcloud.com/oli-kolek / aufresigniert@web.de
Modular Synthesizer Track 2: Leandra White
soundcloud.com/gehendieleute

Texte: Gerald Fiebig
Track 2,3: Texte aus "motörhead klopstöck", www.parasitenpresse.de

Mastering: Bernhard Kühne
insta: @bkuehne
Artwork: Bastian Hengge
Picsource: vinicius-amnx-amano

Also available here: http://www.discogs.com/seller/dependenz?sort=price&sort_order=asc&q=attenuation+circuit&st

Review

BAD ALCHEMY

Nach meinem Kampf über 1280 Seiten mit Bruder Hitler und dem Gegensatz von Namen und Zahlen, von Ich/Du und Wir/Es, und mit dem bipolaren Down & Up von Linda Boström in Karl Ove Knausgårds „Kämpfen“ kann mich AUFRESIGNATION (ACU 1048 / gebrauchtemusik, gm038) kaum noch aus dem Gleichgewicht bringen. Rebellische Aufregung und Resignation zusammen in den Koffer zu packen, da haben sich Gerald Fiebig (Text) & Oliver Kolek (Komposition, Instrumente, Stimme) was dabei gedacht. Wer kennt ihn nicht, den Umschlag von Euphorie in Katerstimmung, von Hoffnung in Enttäuschung? 'Pillenknick' macht das mit spöttischem Fress-Dich-Reim auf Glück und Trick, schick und dick, zur Erfahrung einer Generation: aus Babyboomern wurden Babydoomer. DrumHappy Doomsday to me & you. I wish you a merry crisis / And a happy new fear. Dazu kontrastiert Kolek harschen Elektroclash und spitzzungigen Sprechgesang mit softem Schmalz und Schmus. Auf dark ambienten Dröhnwellen und zu Brodelnoise spricht er dann bei 'Critical White Noise Studies' als Fiebigs Medium vom Whitewashing des rassistisch geprägten Transfers der Boden- und Plantagenschätze aus den dunklen Regionen in die weißen und dessen Nebenwirkungen. Wobei den industriell vernutzten Wassermassen und den monströsen Frachtern das Rauschen der nächsten Sintflut entgegeneilt, die unsre Knochen, endlich weiß genug, auf den Meeresgrund betten wird. 'Problemzone Lichtmess' (als zweites Poem aus Fiebigs Poetryband „motörhead klopstöck“) kontrastiert Strophen wie: als bademeister in der inneren heilanstalt / den ganzen körper waschen in gechlorter unschuld. / aufstand, heißt es, ist die beste auferstehung, aber / vom beckenrand springen ist auch keine lösung mit resignativen und düsteren Zeilen wie:& dann ist es plötzlich herbst & die nacht kriecht in den tag und bis kein licht mehr da ist & die dunkle seite der macht mit unsichtbar öffentlicher hand den jahreszeitenwechsel einfriert. Ebenso beißt sich Vocodergesang zu erst Elektropopgetüpfel mit der zu plötzlich weichgespülten Keys und Gitarre aufgehellten Stimme und diese mit dem, was sie von sich gibt. Mit 'Bunt & bestialisch' greift Fiebig zurück auf Matthias Baader Holst (1962-1990), dem DDR-Rimbaud, dem die Dichtkunst selbst geniale Zeilen wie"die ratten schrubben das sinkende schiff" nicht gedankt hat. Kolek rockt ihn immerhin nun wieder mal mit süffisanter Diktion: Ich schenk dir reinen Wein ein und saufe ein Bier dazu / Und steche mir für dich ins Herz ein Leber-Tattoo. Wenn dazu mit Ich verspreche dir, meine Prinzessin, alles wird gut / Dein Vater ist ein Lügner und trägt eine Krawatte aus Blut / Ich verspreche dir, kleiner Prinz, aus Glut wird Asche... das Aufresignative zum Insichwiderspruch zugespitzt wird, wie soll man da nicht ins Schleudern kommen?

http://badalchemy.de/

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